Impfzentren – Gebärdensprachdolmetschereinsätze in Präsenz oder in digitaler Form?
München, 20.03.2021
Stellungnahme 2021-01
Impfzentren – Gebärdensprachdolmetschereinsätze in Präsenz oder in digitaler Form?
Der Gehörlosenverband München und Umland e.V. (GMU) wurde in letzter Zeit wiederholt
angefragt zu seiner Position bzgl. Online-Dolmetschen für gehörlose Menschen im Impfzentren.
Dazu möchten wir gerne Stellung nehmen.
Der GMU ist sehr an einer niederschwelligen Lösung für gehörlose Menschen interessiert und möchte sich an dieser Stelle bei allen Behörden, die seit Beginn der Pandemie in engem Kontakt mit dem GMU stehen, für die gute Zusammenarbeit bedanken.
Es zeichnen sich auch hinsichtlich der Impfstrategie gute Lösungsansätze ab, die wir weiter gemeinsam entwickeln werden im Sinne der gehörlosen Bürger*innen in München und im Landkreis.
Wir betreuen als ein großer Gehörlosen-Dachverband unter anderem auch die größte Gebärdensprach-Dolmetschervermittlung und können auf langjährige Erfahrungen mit Dolmetsch-Situationen zurückblicken. Gerade deswegen legen wir großen Wert darauf, dass die Koordination und Kooperation bei den Interessensverbänden liegen sollte.
Denn betroffene Menschen wissen am besten ihre Bedürfnisse zu vermitteln.
Wie können gehörlose Menschen sich in den Impfzentren verständigen?
Präsenz-Gebärdensprachdolmetscher*innen können die gehörlosen Menschen im Impfzentrum durch die verschiedenen Stationen begleiten und dort dolmetschen. Es bestehen jedoch Überlegungen, sich über einen Tablet mit einer speziellen Software mit Gebärdensprachdolmetscher*innen in ganz Deutschland verbinden zu lassen, die dann aus der Ferne für einen gehörlosen Menschen dolmetschen. Diese Art des Dolmetschens wird landläufig Ferndolmetschen genannt.
Man darf dabei aber nicht vergessen, dass jeder Gehörlose das Recht auf Wunsch- und Wahlrecht hat, und das bezieht sich auch auf die Wahl des Dolmetsch-und ÜbersetzungsFormats. Dieses Wahlrecht stellt zudem eine adäquate und kulturspezifische Übersetzung der Gebärdensprachen in die Lautsprache sicher.
Für Präsenz-Gebärdensprachdolmetscher*innen sprechen folgende Faktoren:
Für die gehörlosen Menschen, die aktuell in die ersten Impfgruppen fallen (Prio 1, meist über 80 Jahre alt), ist eine Übersetzung per Ferndolmetschen jedoch nicht ausreichend, da der persönliche Kontakt für die Übersetzungsleistung hier maßgeblich ist. Auch ist diese Altersgruppe oft mit der Technik überfordert
Zudem steht das Tablet meistens nur an bestimmten Plätzen, jedoch braucht der gehörlose Mensch durchgehend eine*n Gebärdensprachdolmetscher*in, z.B. im Warteraum, oder schon am Eingang, oder in der Warteschlange, wo auch ein allgemeiner Informationsaustausch und Unterhaltungen stattfinden bzw. schriftliche Aufklärung besteht.
Außerdem gibt es auch in der Deutschen Gebärdensprache Dialekte. Gerade in solch einer Ausnahmesituation wie momentan, ist es wichtig, dass Informationen zu 100% ankommen. Dies kann bei einem zugeschalteten Dolmetscher irgendwo aus Deutschland nicht unbedingt gewährleistet werden.
Ist das Ferndolmetschen die ideale Lösung?
Im Vergleich zum Präsenzdolmetschen waren unsere bisherigen Erfahrungen beim Ferndolmetschen von Online-Formaten eher negativ.
Die Qualität des Ferndolmetschens ist von der Internetverbindung abhängig.
Auch beeinflussen eine schlechte Akustik, ein ungünstiger Hintergrund und eine unzureichende
Beleuchtung die Übersetzungsqualität. Die Vor-Ort-Situation in den Impfzentren sind so unterschiedlich, dass hier nicht immer die optimale Situation gewährleistet werden kann.
Haben die gehörlosen Personen genügend Medienkompetenz und können sie mit solchen Online-Verdolmetschungen umgehen? Technik ist nur so gut, wie seine Benutzer.
Ebenso müsste man den Datenschutzstandard der eingesetzten Software hinterfragen:
Besteht überhaupt ein Einverständnis aller Gesprächsbeteiligten? Werden die Online-Übersetzungen aufgenommen?
Beim Online-Dolmetschen ist es auch schwierig, die Emotionalität einer Situation und alle Interaktionen zu vermitteln, was aber maßgeblich für eine adäquate und kulturspezifische Übersetzung von Gebärdensprachen ist. Insbesondere stellt die Technik eine sehr starke Überforderung für die gehörlosen Senioren*innen dar. Gerade im Impfzentrum müssen die Ängste und Unsicherheit der Bürger*innen ernst genommen werden.
All diese und weitere offene Fragen entfallen mit einem/r Präsenz-Gebärdensprachdolmetscher*in, der auch im Zweifel auch für die „Richtigkeit der Übersetzung“ mit unterschreibt.
Es gibt aktuell vermehrt Angebote von Firmen, die ihren Service mittels Tablets und Zuschaltung der Gebärdensprachdolmetscher*innen anbieten. Unter anderem wird mit dem folgenden Slogan „Wie Ihr Impfzentrum auf Knopfdruck Gehörlosen-freundlich wird“ Werbung gemacht. Diese unglücklich formulierte Bezeichnung suggeriert, dass es Probleme mit Gehörlosen gibt und es keine Vor-Ort-Lösung gäbe.
Gebärdensprachdolmetscher*innen unterliegen einer Berufs- und Ehrenordnung, und haben eine sehr hohe Professionalisierung für ihren Beruf entwickelt. Dadurch dass die Online-Dienste darauf hinweisen, dass externe Gebärdensprachdolmetscher*innen teurer seien und ausfallen könnten, wird das Berufsbild der Gebärdensprachdolmetscher*innen gewissermaßen in Frage gestellt. Statistische Zahlen, die von einer Firma belegt worden seien, z. B. dass die Online Zuschaltung von Dolmetschern überwiegend keinerlei Probleme darstellten, sind uns nicht bekannt.
Unsere Empfehlung
Die allgemeine Position aller Gehörlosenverbände – uns eingeschlossen – und die des Deutschen Gehörlosenbundes e.V. ist, dass Präsenz-Gebärdensprachdolmetscher*innen zu bevorzugen sind.
Unsere Erfahrung und unsere Position als offiziell politische Interessensvertretung der betroffenen Personengruppe und deren Angehörige ist eine Dolmetsch-Situation vor Ort im Impfzentrum nach wie vor ein wichtiges Kriterium.
Unabhängig davon gilt es, das individuelle Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Hörbehinderung bezüglich der geeigneten Kommunikationsform und -technik zu respektieren.
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